Lincoln (über Boston)…

Holland? Zurück versetzt und gute 800 gefahrene England-Kilometer umsonst??

Nein, wir fahren einfach nur durch den südlichen Küstenabschnitt von Lincolnshire! Absolut ebenes Marschland, Weite, Gräben entlang der Straßen… ein bisschen wie Zuhause! Auch die brütenden Schwäne fehlen nicht!

 

Für Rainer ein Tag voller kleiner Freuden, denn er mag Brücken – besonders alte – so gerne. Und jedes Gehöft, jede Straße hat natürlich eine.

Aber nun der Reihe nach: gestern Morgen in Kings Lynn verbrachten wir nochmal Zeit mit Julie – und Henrik, der Julie über das Wochenende zu ihrem Geburtstag besucht – und tauschten Shortbread+Maltesers gegen die bestellten Bremsklötzchen für die Handbremsen der Räder. “Lieber ist besser!”, sagt unser Ersatzteile-Freak.

Nach einem ausgiebigen, englischen Frühstück und kleiner Stadtbesichtigung machten wir alle uns wieder auf den Weg/die Wege – Julie und Henrik nach Norwich, um Melissa aus der Schule abzuholen und wir weiter auf den Weg nach Norden.

Die ersten 20 km fuhren wir auf einer normalen, zweispurigen Straße. Kurze Gesprächssequenzen zwischen Rainer und mir, hintereinander fahrend, hören sich dann etwa so an: ” Guck mal, das Haus, da kön….”, Auto von vorn, “Was könnte man?”, Kopfschütteln, lauter ” Was könnte man?”, Auto von hinten, Auto von vorn, “Da könnte man echt was draus machen!”, Auto von hinten,” Hab ich auch gedacht!”, Auto von hinten, noch eins, “Hä?”, lauter ” Hatte ich auch gedacht!”, Auto von vorn, Daumen-hoch-Geste….usw. Wirklich wichtige Dinge entscheiden wir, indem wir links ranfahren und nebeneinander stehend miteinander sprechen…

Umso schöner war es dann, als wir wieder auf die ganz kleinen Straßen abbiegen konnten, die sich jetzt durch flaches Land schlängelten, soweit das Auge reichte. Da die Besiedlung sehr sparsam war, hielt sich auch der Autoverkehr in Grenzen. Das alles zusammen, dazu leichter Rückenwind und guter Asphalt… so kam es, dass wir doch noch die ganze Strecke bis nach Boston bewältigen konnten und wollten. Und das waren immerhin 64 km.

Hier landeten wir in einem ganz besonderen B&B: mitten im Zentrum dieser alten Stadt, in einer kleinen Seitenstraße,  öffnete uns die Gastgeberin eine Tür, die, von außen nicht sichtbar, in den engen Gang zwischen zwei der alten Häuser führte. Hier hinein war eine Metalltreppe gesetzt worden, die uns auf eine kleine Dachterrasse im ersten Stock führte. Aus sämtlichen Garküchen der Umgebung umwehten uns hier die Gerüche der Speisen aus aller Herren Länder…

Von der Dachterrasse aus betrat man das Haus/ die Wohnung, in der im obersten Stockwerk unser “double room ensuite”, unser Doppelzimmer mit Bad lag. Wir haben also praktisch wie bei “Karlsson vom Dach”(Astrid Lindgren) gewohnt. Die Räder durften auf der Dachterrasse übernachten. Müde aber sehr zufrieden fielen wir ins Bett – und hatten etwas mit Seekrankheit zu kämpfen…. jedenfalls ich. Die neue, weiche und enorm dicke Federkern-Matratze lag auf einer Art Ausziehbett mit kleinen Rollen! Wackelige Angelegenheit… Leider war der Raum zu klein, um die Matratze kurzerhand für die Nacht auf den Boden zu legen.

Heute morgen starteten wir mit einem kleinen Bogen durch die Innenstadt. Die Kathedrale hatte beide Seitentüren geöffnet, so dass die Menschen sie als Teil ihres Weges nutzen konnten (ungefähr so, wie wenn man sein Haus aus Versehen auf einer Ameisenstraße baut und die Tierchen jedes Frühjahr auf ihrem gewohnten Weg ihre Prozession durch den Flur starten).

Wir trauten uns dann auch und schoben unsere Räder in die Kirche.

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Hier erwartete uns geschäftiges Treiben: neben einem Bereich, in dem an einer Holzskulptur gearbeitet wurde, war eine Spielecke für Kinder eingerichtet. Unten im Turm gab es ein Kirchen-Cafe, neben dem Shop. Und an einer Stelle entstand ein Modell der Kirche – aus Legosteinen! Gegen eine Spende konnte man sich das Recht erwerben, auch einen Legostein einzufügen. Was wir auch begeistert taten! Das war mal eine gelungene Art des fund-raising, um Geld für die Gemeinde zu sammeln. Wir erfuhren, dass noch fünf weitere Kathedral-Gemeinden in England an dieser Aktion teilnehmen.

 

Von Boston aus führte uns die Radroute praktisch komplett auf der alten Trasse des Water-Rail-Way nach Lincoln, hier einer der ehemaligen Bahnhöfe entlang der Strecke.

Auf einer Infotafel hieß es, dass man vormals mit dem Dampfschiff auf dem Fluss sechs Stunden, nach dem Bau der Bahnstrecke mit dem Zug nur noch eine Stunde für die Strecke Boston – Lincoln brauchte.

An dem kanalisierten Fluss entlang, später sogar zwischen zwei Flussläufen, schlängelte sich der asphaltierte Radweg. Und das Wort “schlängeln” habe ich bewusst gewählt! Man sollte doch meinen, dass eine Bahntrasse gradlinig wäre, der Radweg war es aber nicht. Entweder hat der Fahrer der Asphaltiermaschine bei der Arbeit fröhlich rechts und links in die Weite geguckt, oder er war betrunken. Wir mussten jedenfalls ziemlich aufpassen, dass wir nicht dauernd über die Grasecken fuhren, sondern seinem Gekurve folgten.

Trotzdem war auch dieser Weg prima zu fahren! Aus einem Smalltalk während einer Pause wussten wir, dass die Kathedrale von Lincoln auf einem Berg liegt – hier, mitten in der platten Weite der “Fens”… Und tatsächlich, circa drei Stunden, bevor wir sie dann letztlich erreichten, konnten wir sie schon in der Ferne sehen!

Heute haben wir wieder 60 km geschafft und uns hier in Lincoln in einer sehr netten airbnb-Unterkunft einquartiert. Morgen werden wir die Stadt in Augenschein nehmen und Montag dann weiter radeln.

Drei Dinge noch: diese lustige Zeichnung sah ich in einem Pub auf der Damentoilette:

(Titel: ” Der Albtraum einer jeden Frau”)

 

Die Gastgeberin hier in Lincoln ist Ärztin und hat schon einmal ein sechsmonatiges Praktikum in Deutschland absolviert, in Bad Lobenstein, wo ich 2014 zur Kur war….

Und Lisette schickt einen kleinen Wiesenblumengruß an alle ihre Freunde (kurz bevor er gänzlich verschmaust ist…)!

Eine Antwort auf „Lincoln (über Boston)…“

  1. Boston … [Jauchz]!!! Das erinnert mich doch sofort an eine meiner Lieblings-Musikgruppen – gibt es übrigens heute noch! 🙂
    Die machen auf eine Art Musik, welche ich immer als “melodiöser Hardrock” beschrieben habe: Wer erinnert sich nicht an “More than a feeling” oder die Ballade “Amanda”!?
    Übrigens: Bei Wikipedia gibt es 48 Einträge zu “Boston”! Boston gibt es mehrfach in den USA, in Afrika, Asien, Irland, sogar in Deutschland und … natürlich Old England! 🙂
    Boston ist u.a. auch die Hauptstadt des US-Bundesstaates Massachusetts; und aus Massachusetts stammt Susan Brownell Anthony, eine Pionierin der US-amerikanischen Frauenrechtsbewegung. Sie wurde “Napoleon der Frauenbewegung” genannt. Von ihr soll der Satz stammen: “Ich glaube, das Fahrradfahren hat mehr für die Emanzipation der Frauen getan als alles andere. Es gibt Frauen ein Gefühl der Freiheit und der Selbstbestimmtheit.”
    Habt Ihr Kopfhörer dabei? Na dann schleunigst Boston auf’s Ohr gelegt im Takt der Musik weitergeradelt!
    Cheerio, Jens

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