Heute ist der erste Tag meines Sabbatjahres.
Heute in 25 Tagen setzen wir uns auf unsere Fahrräder und starten unseren Weg einmal rund um die Nordsee.
Heute beginne ich, Ute – fast 55 Jahre alt – dieses Abenteuer zu be-SCHREIBEN.
Wer mich in diesem Moment sehen könnte, würde allerdings vergeblich nach äußeren Anzeichen eines Abenteuers suchen. Ich sitze gemütlich auf dem Sofa unseres kleinen Häuschens, draußen pfeift der Wind bei leichten Minusgraden um die Ecken. Aber allein die Tatsachen, dass ich jetzt nicht warm eingemummelt die Kindergruppe des Waldkindergartens begleite und dass der Ort, an dem ich schreibe, unser „Sommerhäuschen“ ist, erzählen schon viel:
Seit vielen Jahren träumten Rainer und ich davon, einmal den Nordseeküstenradweg (englisch: NorthSeaCycleRoute) zu fahren. Er ist mit seinen etwa 6300 Kilometern der längste, durchgehend ausgewiesene Radweg der Welt. Erst dachten wir logischerweise, dass wir uns diesen Traum frühestens erfüllen könnten, wenn wir in Rente gehen. Wann sonst hätte ein normaler Arbeitnehmer die dafür erforderliche freie Zeit? Aber der Gedanke, dass vielleicht irgendwann in unserem Leben ein Sabbatjahr möglich sein könnte, ließ mich nicht los. Und genauso ist es jetzt auch gekommen.
Die Firma, in der Rainer seit vielen Jahren arbeitet, musste sich in der Vergangenheit drastisch verkleinern und so entstand die Möglichkeit, dass Rainer mit einem Sabbatical auch eine Auftragsflaute überbrücken kann.
Ich arbeite für die evangelische Kirche und habe daher sogar tarifvertraglich festgelegt die Möglichkeit, einen unbezahlten Urlaub für ein Sabbatjahr zu beantragen. Und der ist mir gewährt worden – wie wunderbar!
Unsere Familienverhältnisse erlauben uns momentan den Gedanken an eine lange Abwesenheit – also, worauf sollen wir noch warten, wann, wenn nicht jetzt??? Das Abenteuer kann beginnen!
So bereiten wir seit fast einem Jahr immer konkreter unsere Fahrt vor…
Eine wesentliche Voraussetzung, um starten zu können, war ein langer Prozess des „downsizing“: wir haben unsere doppelte Haushaltsführung bestehend aus einer Vierzimmer-Altbauwohnung in Hessen und einem Sommerhaus in Schleswig-Holstein beendet und beide Haushalte in eben diesem voll eingerichteten 60 qm Häuschen zusammen gelegt…Es ist unglaublich, wie viele Dinge sich in einem Leben ansammeln, die man überhaupt nicht braucht…!! Viele Monate lang hat uns also das große „Verschenken – Verkaufen – Wegwerfen“ auf Trab gehalten. Und wir sind noch nicht fertig damit!
Und je mehr wir den Besitz in unserem Leben reduzieren, umso deutlicher spüren wir den großen Druck von Werbung und Wirtschaft, mit dem wir dauernd zu mehr Konsum und Käufen verführt werden sollen. So deutlich war uns das vorher gar nicht bewusst, obwohl wir uns schon für bewusste Konsumenten gehalten haben.
Allerdings haben wir in unserer Vorbereitung auf unsere Tour auch einige Anschaffungen gehabt. So haben wir uns zum Beispiel in der kleinen Fahrradmanufaktur NORWID http://www.norwid.de zwei genau auf uns zugeschnittene Fahrräder bauen lassen. So etwas außerordentlich Besonderes habe ich noch nie in meinem Leben besessen!
Beim Beschaffen der notwendigen Ausrüstung (Packtaschen, Kleidung etc..) haben wir versucht, unsere Kaufentscheidungen so umweltfreundlich wie möglich zu treffen, was einige Recherchen im Internet erforderlich machte.
Überhaupt war viel Zeit am Computer nötig, um das eng um uns gelegte administrative „Korsett“ aus Versicherungen, Krankenkassen, Banken und Staat zu lockern und auf unsere Abwesenheit umzustellen…
Und weil wir uns in Vorbereitung auf unseren Weg nach elf Jahren Beziehung auch noch entschlossen haben zu heiraten, musste an diesen Stellen noch einiges mehr geändert werden.
Aber so wird der NSCR auch noch zu unserer Hochzeitsreise, zum Start in unsere nächste Lebensphase, in unsere „Bonusjahre“.